von Yunus Mazı
Türkiye gilt als Brücke zwischen Ost und West. Das zeigt sich nicht zuletzt auch beim Handel. Das Land ist ein wichtiger Transitstaat und auch zentral bei der Energieversorgung Europas. Doch wie werden sich die aktuellen Umbrüche in der Weltwirtschaft darauf auswirken? In den USA etwa droht nach der Wiederwahl von Donald Trump ein Protektionismus. TRT Deutsch hat mit Tobias Bartz, dem CEO der Rhenus Gruppe, über die aktuellen Entwicklungen gesprochen.
TRT Deutsch: Türkiye gilt als wichtiges Transitland im Energiebereich, vor allem bei Erdgas- und Öltransporten zwischen Asien, dem Nahen Osten und Europa. Wie sehen Sie die Rolle des Landes in dieser Funktion und wie sehr profitiert die EU davon?
Tobias Bartz: Türkiye nimmt aufgrund seiner geographischen Lage eine zentrale Rolle als strategischer Knotenpunkt ein. Diese Position macht das Land nicht nur zu einem unverzichtbaren Transitstaat für den Energiesektor, sondern auch zu einem wichtigen Bindeglied für globale Lieferketten. Innerhalb von vier Flugstunden können von Türkiye aus 67 Länder mit einem Gesamt-BIP von 28 Bio. USD erreicht werden – ein Potenzial, das globale Investoren anzieht, um vor Ort Produktions- und Transportinfrastruktur aufzubauen.
In Bezug auf den Transit von Erdgas- und Öltransporten unterstreicht Türkiye seine Bedeutung als Brücke zwischen rohstoffreichen Regionen wie Asien und dem Nahen Osten und den großen Verbrauchermärkten in Europa. Diese strategische Rolle bietet der EU die Möglichkeit, die Wege der Energieversorgung zu diversifizieren.
Damit ist Türkiye weit mehr als ein Transitland: Es ist ein relevanter Partner zur Stabilisierung und Erweiterung globaler Wertschöpfungsketten und somit auch für uns als Rhenus Gruppe elementarer Bestandteil unserer Wachstumsstrategie: So konnten wir in den letzten Jahren ein starkes Setup von rund 200 Mitarbeitenden an 14 Standorten in Türkiye aufbauen, was mit Blick auf das Potenzial des Landes wahrscheinlich erst den Anfang darstellt.
Symbolbild: Container werden an einem Hafen gelagert und verladen. (DPA)
TRT Deutsch: Dann profitiert also auch die europäische Logistikbranche? Welche Infrastruktur-Projekte könnten die Verbindung zwischen Europa und Türkiye weiter stärken?
Tobias Bartz: Die europäische Logistikbranche profitiert enorm von der geographischen Lage von Türkiye. Als Bindeglied zwischen Europa und Asien ermöglicht es eine effizientere Gestaltung von Lieferketten sowie einen schnelleren Zugang zu neuen Märkten. Insbesondere nach den Disruptionen der COVID-19-Pandemie hat Türkiye als Nearshoring-Standort stark an Bedeutung gewonnen.
Zukünftige Infrastrukturprojekte sind entscheidend, um diese Rolle weiter auszubauen. Und die umfassenden Infrastrukturinvestitionen von Türkiye, die sich bislang auf rund 150 Milliarden Euro belaufen und in den nächsten 20 Jahren um weitere 150 Milliarden US-Dollar ergänzt werden sollen, unterstreichen die strategische Vision des Landes.
So begrüßen wir als globales Logistikunternehmen etwa die Planungen der türkischen Regierung, den Hochgeschwindigkeitszug zwischen den beiden größten Flughäfen in Istanbul zu realisieren. Dieses Projekt schafft eine effiziente Anbindung von Menschen und Gütern, stellt somit einen bedeutenden Schritt zur Verbesserung der Konnektivität innerhalb von Türkiye dar und trägt damit zum weiteren wirtschaftlichen Wachstum bei.
Zu weiteren wichtigen Projekten zählt etwa der Ausbau von Luftfrachtkapazitäten und Schienennetzen – Maßnahmen, mit denen sich Türkiye zu einem zentralen Knotenpunkt entwickeln kann, und die wir als Basis für zukünftiges Wachstum und Innovation sehen.
TRT Deutsch: Welche Rolle spielt Türkiye als Handelspartner der EU? Welche Potenziale und Herausforderungen sehen Sie in dieser Partnerschaft – auch mit Blick auf die Wiederwahl von Donald Trump? Der US-Protektionismus wird sich ja wahrscheinlich in Zöllen und Handelsbarrieren äußern.
Tobias Bartz: Türkiye ist ein wichtiger Handelspartner der EU, insbesondere im Bereich Logistik, und nimmt eine strategisch bedeutende Rolle als Bindeglied zwischen Europa und Asien ein. Seine geografische Lage ermöglicht es, nicht nur Märkte in Europa effizient zu bedienen, sondern auch den Zugang zu aufstrebenden Märkten im Nahen Osten zu eröffnen.
Mit seiner modernen Infrastruktur, qualifizierten Arbeitskräften und industriellen Expertise schafft Türkiye entsprechende Voraussetzungen für die Stärkung europäischer Lieferketten. Besonders hervorzuheben ist die aktive Rolle von Türkiye bei dem Ausbau der Internationalen Transkaspischen Transportroute die Unternehmen alternative Routen bietet, um geopolitische und wirtschaftliche Störungen zu bewältigen sowie Handel und Logistik zwischen der EU, der Staaten Zentralasiens sowie China effektiv zu gestalten. Im Energiesektor trägt Türkiye als Transitland wiederum zur Energiesicherheit bei.
Die Herausforderungen dieser Handelspartnerschaft liegen aus meiner Sicht vor allem in den geopolitischen Spannungen der Region sowie in der globalen wirtschaftlichen Entwicklung, wie steigenden Energiepreisen und einer fragilen Weltwirtschaft. Zusätzlich könnten protektionistische Tendenzen, wie sie in den vergangenen Jahren zugenommen haben und auch aktuell die Nachrichtenlage dominieren, den Handel zwischen der EU und Türkiye erschweren. Neue Zölle oder Handelsbarrieren würden Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen stellen und könnten die Handelsbeziehungen komplexer gestalten.
Gleichzeitig liegt in diesem Umfeld aber auch eine Chance: Ein stärkerer Fokus auf resilientere und regionalisierte Lieferketten könnte die Türkei als Nearshoring-Drehscheibe für Europa weiter stärken. Um dies zu erreichen, sind jedoch stabile und verlässliche Handelsabkommen zwischen der EU und Türkiye von zentraler Bedeutung. Diese könnten die Grundlage dafür schaffen, bestehende Potenziale auszuschöpfen und neue Möglichkeiten für eine langfristige Zusammenarbeit zu eröffnen.
Insgesamt sehe ich als CEO eines weltweit operierenden Logistikunternehmens die Lösung nicht im Protektionismus, sondern in globaler Zusammenarbeit. Internationale Partnerschaften und freie Handelsströme sind essenziell, um Lieferketten zu stärken, Innovationen voranzutreiben und wirtschaftliches Wachstum nachhaltig zu sichern.
TRT Deutsch: Wie gehen deutsche Logistikunternehmen mit den Auswirkungen des Protektionismus um? Welche Anpassungen sind notwendig, um den Handel zwischen Deutschland und Türkiye weiterhin effektiv zu gestalten?
Tobias Bartz: Wir wie auch andere deutsche Logistikunternehmen reagieren auf die zunehmenden protektionistischen Tendenzen, indem sie ihre Strategien anpassen, um flexiblere und widerstandsfähigere Lieferketten zu schaffen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Entwicklung alternativer Routen, die weniger anfällig für geopolitische oder wirtschaftliche Störungen sind. Dabei spielt Türkiye eine Schlüsselrolle als Nearshoring-Hub.
Darüber hinaus gewinnen Lagerhaltungsstrategien an Bedeutung, um sicherzustellen, dass Bestände näher an der Produktion und den Zielmärkten verfügbar sind. Dies erhöht nicht nur die Resilienz der Lieferketten, sondern ermöglicht es Unternehmen auch, schneller auf Marktveränderungen zu reagieren.
Für die Logistikbranche ist vor allem die Entwicklung des Istanbuler Flughafens als zentrale Drehscheibe für den globalen Warenverkehr hervorzuheben. Für uns als Rhenus bietet diese Entwicklung die Chance, unsere Luftfrachtdienste in Türkiye – wie gesagt ein wichtiger Markt für Nearshoring-Strategien – weiter auszubauen und als Transithub für die Verkehre von Ost nach West zu nutzen.
Um den Handel zwischen Deutschland und Türkiye weiterhin effektiv zu gestalten, sind enge Partnerschaften sowie die kontinuierliche Optimierung von Infrastruktur und Prozessen entscheidend.
TRT Deutsch: Wie werden sich die Handelsbeziehungen zwischen Türkiye und der EU künftig entwickeln? Könnten geopolitische Veränderungen neue Chancen mit sich bringen?
Tobias Bartz: Ich bin überzeugt, dass die Handelsbeziehungen zwischen Türkiye und der EU in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden. Geopolitische Veränderungen und die zunehmende Notwendigkeit resilienter Lieferketten schaffen zahlreiche Chancen für eine intensivere Zusammenarbeit. So ist die gesamte Entwicklung des Mittleren Korridors als alternative Route zwischen Asien und Europa gerade auf die geopolitischen Umbrüche zurückzuführen.
Besonders hoffnungsvoll stimmt uns Logistiker das Wachstum der exportorientierten Branchen der türkischen Wirtschaft: Als Rhenus Gruppe merken wir das besonders im Textilsektor. Türkiye ist der fünftgrößte Textil- und Bekleidungsexporteur der Welt und der drittgrößte in Europa. Die Dynamik der Branche sehen wir im Unternehmen auch an den wachsenden Anforderungen unserer Kunden, die zunehmend von der steigenden Nachfrage nach türkischen Textil- und Bekleidungsprodukten profitieren.
Unsere Textiltransporte haben sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, und eine Vielzahl von Textil- und Bekleidungsartikeln wird nach Deutschland, Großbritannien, Spanien, Italien und in viele andere Länder geliefert.
Diese Entwicklung unterstreicht das enorme Potenzial von Türkiye als Logistikdrehscheibe mit direktem Zugang zu den Märkten im Nahen Osten, im Südkaukasus und in Zentralasien – ein wichtiger Faktor, den wir bei Rhenus aktiv begrüßen.