In einem Beitrag des „Spiegel“-Magazins über die aufgedeckte „Neugeborenen-Bande“ in Türkiye werden Vorwürfe gegen die türkische Regierung auf Grundlage von Falschinformationen erhoben. In dem am Montag veröffentlichten Bericht wird unter anderem der türkische Gesundheitsminister Kemal Memişoğlu beschuldigt, in den Fall verwickelt zu sein. In Wirklichkeit hatte Memişoğlu selbst die Untersuchung angestoßen, als er die Gesundheitsdirektion in Istanbul leitete.
In dem Fall um die sogenannte Neugeborenen-Bande in Türkiye sollen beteiligte Pflegekräfte und Ärzte für längere Krankenhaus-Aufenthalte von Neugeborenen gesorgt und davon finanziell profitiert haben. Mindestens zwölf Babys starben in diesem Zusammenhang. Dutzende Personen sind angeklagt, einige davon sitzen in U-Haft.
Bekannt ist: Nach den staatlichen Ermittlungen wurden die Dokumente am 3. September 2024 den Inspektoren des Gesundheitsministeriums übergeben. Infolge einer Auswertung Tausender Seiten wurde ein Zusammenhang zwischen den Todesfällen von Neugeborenen in türkischen Krankenhäusern und den Angeklagten festgestellt. Am 18. Oktober ordnete der Inspektionsausschuss des Gesundheitsministerium auf dieser Grundlage die Schließung aller betroffenen Krankenhäuser an, die daraufhin am selben Tag ihren Betrieb einstellen mussten.
Darüber hinaus wird fälschlicherweise behauptet, Memişoğlu sei während seiner Amtszeit als Gesundheitsdirektor gemeinsam mit dem Ex-Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoğlu für die Überwachung der Krankenhäuser verantwortlich gewesen. Doch Müezzinoğlu hatte vom 24. Januar 2013 bis zum 24. Mai 2016 das Amt des Gesundheitsministers inne. Memişoğlu hingegen trat sein Amt als Istanbuler Gesundheitsdirektor am 6. Oktober 2016 an. Zu diesem Zeitpunkt war bereits Recep Akdağ als Gesundheitsminister tätig.
Angeklagte mit oppositionellem Hintergrund werden nicht genannt
In dem „Spiegel“-Beitrag werden hingegen Verbindungen des Angeklagten A. A. Y. mit der oppositionellen CHP nicht erwähnt. Dieser war nicht nur Stadtratsmitglied der CHP, sondern auch Vorsitzender einer Kommission der Istanbuler Stadtverwaltung.
Zudem geht aus zahlreichen Medienberichten hervor, dass der Angeklagte F. S., der als Anführer der „Neugeborenen-Bande“ gilt, in den Jahren 2022 bis 2023 Mitglied der oppositionellen IYI-Partei war.
Falschangaben zur Krankenhausstatistik in Türkiye
Falschangaben finden sich in dem „Spiegel“-Beitrag auch bezüglich der Zahl der Krankenhäuser in Istanbul. Darin wird behauptet, es gebe in Istanbul 234 Krankenhäuser – 164 davon seien privatwirtschaftlich betrieben. Richtig ist: In Istanbul gibt es aktuell 238 Krankenhäuser, wovon 144 dem privaten Sektor zugeordnet werden.
Zudem täuscht die Darstellung. Denn wenn man die Zahl der Betten in staatlichen und privaten Krankenhäusern miteinander vergleicht, zeichnet sich ein anderes Bild ab. Von den insgesamt 45.962 Krankenhausbetten in Istanbul befinden sich lediglich 15.435 (ca. 36 Prozent) in privaten Krankenhäusern.
Privater Krankenhaussektor hat in Deutschland die Oberhand
Laut Angaben des Statistischen Bundesamts gab es im Jahr 2023 insgesamt 1.874 Krankenhäuser. Davon waren 750 in privater und 543 in öffentlicher Trägerschaft. 590 weitere befanden sich in freigemeinnütziger Trägerschaft von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen.
Betrachtet man die Zahl der Krankenhausbetten, so befanden sich 20,6 Prozent in privatwirtschaftlichen Einrichtungen. 32,5 Prozent standen in freigemeinnützigen und 46,9 Prozent in öffentlichen Einrichtungen.
Die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland nimmt seit 2002 stetig ab. Damals gab es noch 2221 Krankenhäuser. Im Gegensatz dazu steigt der Anteil privater Krankenhäuser und Krankenhausbetten. Im Jahr 2002 zählten gerade einmal 23,7 Prozent der Krankenhäuser und 8,9 Prozent der Krankenhausbetten zum privaten Sektor.
Kritiker der Privatisierung im deutschen Gesundheitssektor sehen eine Unvereinbarkeit von Profit und Patientenwohl. Zudem befürchten sie eine Abhängigkeit der Gesundheitsversorgung von gewinnorientierten Privatunternehmen.